Den Auslöser für Effectuation bildet ein unternehmerischer Handlungsanlass: Beispielsweise die Erkenntnis, dass das bestehende Geschäftsmodell im eigenen Obsthandel nicht mehr funktioniert. Die Geschichte von Andreas Schindler zeigt, was man aus einer fatalen Situation unternehmerisch machen kann.
Obsthändler in Hamburg zu sein war lange Zeit ein kontinuierliches Geschäft, das sich gut nach Management-Prinzipien betreiben lies. Doch das Umfeld wird VUKA (volatil, ungewiss, komplex und ambig, sprich: mehrdeutig). Und das gerade als Andreas Schindler im Jahr 2000 den elterlichen 4-Personen-Betrieb übernimmt. Immer weniger Einzelhändler zugunsten einer Handvoll Handelsketten, die die Preise diktierten. Globalisierung und das Wegfallen von Handelsbarrieren. Kunden, die den direkten Kontakt zu den Lieferanten suchen und den Großhandel ausschalten. „Unser Geschäftsmodell funktioniert unter diesen Voraussetzungen nicht mehr“ sagt Hans Joachim Conrad, Chef der Händlervereinigung des Hamburger Großmarkts. Was tun angesichts dieser ungewissen Zukunft?
Andreas Schindler weiß aus Erfahrung, dass Kunden bei ihm kaufen, wenn er sich wirklich im Detail mit Ware und Prozessen auskennt. Die Qualität der Ware hängt von so vielen Faktoren ab, dass der Handel Vertrauenssache ist. So fährt Schindler beispielsweise zu seinen litauischen Pilzlieferanten, unterhält sich mit ihnen am Lagerfeuer und weiß am Ende sehr viel mehr über Qualität und Lagerhaltung. Der ausgebildete Sozialökonom Schindler weiß aber auch, dass er in Zukunft Übersee handeln will. Er bezieht also kleinere Mengen von niederländischen Obst-Importeuren, besucht diese und lässt sich über die Tücken der Logistik aufklären.
Beim Versuch, das Vertrauen von spanischen Lieferanten zu gewinnen, scheitert Schindler zunächst. Als er zufällig einen Muttersprachler einstellt, stellt er fest, dass dieser ganz anders als er mit den spanischen Lieferanten spricht. Und plötzlich klappt das Geschäft. Für Schindler ein Schlüsselerlebnis. Er aktiviert sein Netzwerk und stellt weitere Muttersprachler – meist ausländische Studenten der Agrarwissenschaft – ein. Diese beginnen mit kleinen Mengen und Einsätzen in ihrem Herkunftsland Direktgeschäfte mit Lieferanten als auch Kunden anzubahnen. Über gelungene Geschäfte entsteht Vertrauen und die Mengen werden größer.
Ein bolivianischer Mitarbeiter baut Kontakte mit bolivianischen und mexikanischen Limettenhändlern auf und gewinnt deren Vertrauen. Schindler entschließt sich zum Versuch, eine eigene Marke „Don Limón“ aufzubauen. Der Versuch gelingt, sodass Schindler heute pro Jahr rund 120 Container Limetten aus Südamerika auf direktem Weg bezieht und vertreibt. Die Limettenstory wird zur Blaupause für weitere Geschäfte mit anderen Produkten.
Heute beschäftigt Schindler rund 30 Mitarbeiter und sein Geschäft wächst kontinuierlich um 20% pro Jahr. Die Mitarbeiter sprechen Türkisch, Englisch, Spanisch, Hindi und Afrikaans, kaufen in Mexiko, Kolumbien und Indien ein und verkaufen Ware nach Russland, China und in die USA. In Büros in China, Guatemala und Südafrika agieren sie eigenständig unternehmerisch wie Startups, bauen neue Kontakte auf und testen laufend neue Produktideen: Paranüsse, Passionsfrüchte, Süßkartoffeln…
Wo führt das alles noch hin? „Ich weiß es nicht“ sagt Schindler. „Das kommt darauf an, wer als nächstes zur Tür herein kommt. Ist es ein Koreaner, kümmern wir uns eben um den koreanischen Markt.“
Mehr zur unternehmerischen Geschichte von Andreas Schindler kann man in einem Artikel im Wirtschaftsmagazin brand eins (vgl. Sywottek, 2015) nachlesen, der die Grundlage dieses Fallbeispiels bildet:
Siwotek, C.: Von wegen mit Zitronen gehandelt. In: brand eins, 17. Jg., H. 9, 2015, S 74-78